Chroniken: Tagebuch einer Quarantäne, Teil 4

Dienstag, der 17.März 2020, seit 07.40 Uhr wach. Ich habe das Gefühl in ein Loch gefallen zu sein, mir fehlt etwas. Nach dem übereilten Saisonende am Arlberg bin ich nun zuhause, in Reutte/Tirol. Eigentlich wollte ich gestern schon einkaufen gehen, meine Bestände auffüllen, für die während die Wintersaison noch lief, kein Bedarf war. Aber aus einer Laune heraus habe ich mich dazu entschieden, dies erst heute zu erledigen, ohne zu ahnen, das dies mein letzter Einkauf für die nächsten 14 Tage sein würde.

Auf den Strassen das mir bereits bekannte Bild. Es ist ruhig, sehr ruhig. Ich plane einen kleinen Umweg, fahre durch den verkehrsberuhigten Bereich, überall an den Geschäften Hinweise zum Schliessungsgrund, manche mit reichlich optimistisch anmutender Schliessungsdauer versehen. Man hat schnell reagiert in Tirol, jetzt. Ich setze meinen Weg in Richtung Supermarkt fort. Um genau zu sein, ich will heute 2 Supermärkte aufsuchen. Den einen auf Grund seiner Vielfalt an regionalen Produkten, den zweiten wohl eher aus Gewohnheit.

Wäre es ein „normaler“ Dienstag, ein Ferientag beispielsweise, an dem nur wenige Daheim gebliebene, nachmittags ihre täglichen Einkäufe erledigen, es hätte mit Sicherheit niemals dieses Gefühl der Beklommenheit bereits im ersten Markt von mir versucht Besitz zu ergreifen. Unheimliche Stille, Mundschutz, Latexhandschuhe, Mitarbeiter die wortlos neu eingetroffene Produkte in die Regale räumen, keine Hintergrundmusik. Sind hier alle zum sterben verurteilt??? Leute, auch wenn wir, allein schon durch Rücksicht auf unsere Mitmenschen, an bestimmte Verhaltensregeln halten müssen, brauche ich diese Totenstimmung nun wirklich nicht. Und erst recht nicht beim Einkaufen. Im Wagen nur das notwendigste, Rindfleisch, Mineralwasser, Faschiertes, frisches Obst und Gemüse, bezahle ich wie gewünscht bargeldlos und wechsle den Ort des Geschehens.

Zweiter Markt: das erste, an diesem Tag, mir bekannte Gesicht begrüßt mich lächelnd mit meinem Namen. Na also, geht doch. Der Markt ist um ein vielfaches besser besucht. Aber interessant zu sehen, wie Kunden andere Kunden mit einem Mindestabstand umkreisen um zum Objekt ihrer Begierde zu gelangen. Auch ich ertappe mich ein wenig bei diesem Verhalten. Erst später wird mir bewusst, das es dafür eh schon längst viel spät ist.

An der Kasse dann wieder der Aushang: bitte bargeldlos bezahlen. Ich frage die Kassiererin höflich, ob ich trotzdem mit Bargeld bezahle dürfe. Sie bejaht, klärt mich aber auch darüber auf, das das Virus am Münzgeld lang überleben könne. Und jetzt durchfährt es mich: Oberflächen, Produkte, Einkaufswagen, Bargeld, Zapfsäulen, Türklinken, Mitmenschen, nichts erscheint mir noch wirklich sicher zu sein. ich erinnere mich an die herzliche Verabschiedung von Kollegen und Patron am vergangenen Sonntag… ich bin verwundbar.

Auf der Fahrt nach Hause juckt es mich am Auge. Jetzt bloß nicht kratzen, blende es aus, warte bis du zuhause bist, Hände waschen, desinfizieren. Himmel, was war da bloß mit mir los? Ich ertappe mich dabei sogar die Türklinken meines Appartements nach dem Händewaschen zu desinfizieren, ja sogar nachdem ich meine Einkäufe versorgt habe, noch einmal die Hände zu waschen. War das jetzt Angst oder reine Vorsicht?

Am Abend habe ich Lust zu kochen! Hendl auslösen, Brüste und Keulen einfrieren, aus Karkassen, Wurzelgemüse und Gewürzen eine Hühnerbouillon ansetzen, Rindergulasch und Bolognese, alles läuft synchron. Ja, ich habe echt Lust zu kochen, vorzukochen. Eine Freundin hat mir noch Casarecce von Fabbri dagelassen, die beste Pasta, die ich kenne. Mit dem Kochen kommt auch gleichzeitig der Appetit.

Bei einem Glas Blaufränkisch und frisch gehobeltem Grana Padano (auf das Basilikumblatt verzichte ich heute, denn ich habe nicht für’s Foto gekocht, sondern nur für mich allein) checke ich meine Emails. Zwischen Werbung, Blödsinn, Rechnung und Junk find ich eine Mail von Thomas Eggler, meinem Patron vom Arlberghaus in Zürs, Anhang öffnen, lesen…

Ist das jetzt der Rotwein, oder das ungewohnt heisse Essen? Man mag es glauben oder nicht, mir wird warm, ich bekomme grippale Anzeichen. Ab ins Bad, Fieberthermometer, bestimmt schon seit 15 Jahren nicht mehr benutzt, mit Restbatterie noch betriebsbereit, bestätigt mir in Sekundenschnelle meine Hypochonderanfall! Ich habe kein Fieber, und auch keine grippalen Anzeichen. Nur den Schock beim Lesen der Mail.

Fortsetzung folgt…

1 Kommentar zu „Chroniken: Tagebuch einer Quarantäne, Teil 4

  1. Hallo Michael!

    Deine Ausführungen sind köstlich bis schaudernd kalt übern den Rücken schweifend…
    Das Ausmaß einer Münze oder einer Türklinke war mir bis dato auch nicht so bewußt…

    lese Deine Beiträge mit großem Interesse und die Art deinen Alltag nun zu beschreiben,
    ergreift mich immer wieder aufs Neue ….. 😉

    Alles Liebe und xsund blieba! Meine Schwester sorgt in dem Fall immer noch für Dein
    körperliches und psychisches Wohlergehen! Brave Schwester!

    mit lieben Grüßen aus Vorarlberg, rein ins schöne Tirol
    Sabine mit Amelie

    Gefällt 1 Person

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