Brainstorming…

Kreativität ist nicht unendlich. Auch ich musste mir das irgendwann eingestehen. Denn irgendwann will die Fantasie nicht mehr, wenn man sich 2 Mal im Jahr freiwillig dem Druck beugt, den Gästen wieder etwas Neues zu bieten, sie mit bis dato noch unbekannten Kreationen versucht zu begeistern. Größte Herausforderung war da immer die Woche zwischen Weihnachten und Silvester, und damit auch der größte Druck. Denn genau zu dieser Zeit reisten alljährlich die besten und wohlhabendsten Gäste an. Am Silvesterabend ging es zunächst in die Bar um bei à la minute ausgebrochenen Austern den Champagner-Aperitif zu genießen. Danach ging es gemeinsam ins Restaurant, wo bereits das Amuse geulle auf vollen Touren lief: frisch aufgebackener Leberkäse mit Mini-Kaisersemmel, Senf und einem Kaffeewasser großem Glas Bier, original angerichtet auf einem Pappteller, gefolgt von Wildhase, Hummer, etc. Ich habe das schon damals als das  zweite Zeitalter der Dekadenz bezeichnet.

Und genau aus diesem Grund ging es im Oktober dann in Bourgogne, in die Nähe von Sens, zur dort wohnhaften Tochter des Hauses. Brainstorming stand auf dem Plan. Um den Kopf frei zu bekommen. Um die Gedanken fließen zu lassen, neue Eindrücke zu gewinnen, besuchten wir führende Restaurants, gingen auf eindrucksvolle Wochenmärkte voller Aromen und Vielfalt, studierten Fachliteratur, besuchten Freunde und entwickelten wie aus den Bausteinen eines Mosaiks neue Speisekarten und Festtagsmenüs. Manchmal arbeiteten wir 4, 5, 6 Stunden ununterbrochen gedanklich an unseren kulinarischen Grundgerüsten, warfen unzählige Ideen wieder über den Haufen, weil sie uns zu unrealistisch erschienen, nicht machbar, entdeckten neue Kombinationsmöglichkeiten, schmeckten und stylten in unserer inneren Vorstellung ganze Gerichte durch. Ein marokkanischer Tajine, mit dem uns bekannten Römertopf vergleichbar, den ich aus dieser Zeit auf meinen Entdeckungsreisen aufspürte, zählt noch heute mit zu meinen beliebtesten Küchengeräten.

Manchmal waren wir in unsere Kreativität so aktuell, das wir im Dezember in einer der führenden Fachzeitschriften für essen & trinken genau die gleichen Fenchelwürste entdeckten, die wir im Oktober in unsere Speisekarten mit einfließen ließen. Vorarlberg besaß in diesen Jahren die größte Haubendichte österreichweit. Noch deutlicher kann man den Qualitätsanspruch und die Kreativität dieser Region wohl nicht zum Ausdruck bringen. Und so war diese Zeit auch meine Hochzeit in beruflicher Hinsicht. Platz 20 von Vorarlberg und Platz 93 von ganz Österreich in einem kleinen, aber feinen Haus mit gerademal 45 Betten.

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